Bürgerbeteiligung am Ende?

Die 2015 begonnene Bürgerbeteiligung kommt mit dem Abschluss der Planungen zum 2. Bauabschnitt zu ihrem vorläufigen Ende.
Was wird aus den Vorstellungen und Wünschen der Bürger?

Baufläche 2. Bauabschnitt Wasserstadt
Bild: Bebauungsfläche für 2. Bauabschnitt Wasserstadt

Als 2014 die Stadtverwaltung mit einem vollständig neuen Entwurf für die Wasserstadt Limmer an die Öffentlichkeit trat, war der Schock bei den LimmeranerInnen groß. Anstatt der bis dato geplanten 800 Wohneinheiten sollten nun über 2000 neue Wohnungen für bis zu 5 – 6000 Bewohnern entstehen. Der Entwurf orientierte sich am Städtebau der  1960er und 70er Jahre und wurde von den Bürgern als zu schematisch und zu hoch verdichtet abgelehnt. Limmer hat nur 6250 Einwohner und soll sich plötzlich fast verdoppeln? Im Rahmen einer aufwendigen Bürgerbeteiligung im Jahre 2015 wurde ein neuer städtebaulicher Entwurf-– zunächst für einen 1. Bauabschnitt der Wasserstadt – erarbeitet. Maßgeblich für diesen Entwurf war die Einrichtung eines Runden Tisches unter Teilnahme von Planungsbüros, der Grundstückseigentümer, von BürgervertreterInnen, der Stadtverwaltung und der örtlichen Bauwirtschaft. Der am Runden Tisch entwickelte Entwurf sollte für den 1. Bauabschnitt etwa 37.500 m² Wohnfläche beinhalten. Aus einem sogenannten Funktionsplan wurde eine Gesamtgröße für die Wasserstadt mit zukünftig 1.600 – 1.800 Wohnungen abgeleitet.

Bebauungsdichte 1. Bauabschnitt
Bild: Bebauungsdichte im 1. Bauabschnitt


Immer mehr, …

Der aus dem Funktionsplan entwickelte Bebauungsplan weist nach seiner überwiegenden Realisierung eine Wohnfläche von 47.000 m² auf – eine wundersame Flächenvermehrung um etwa 25 %, die ohne weiteren öffentlichen oder politischen Diskurs stattgefunden hatte.

Die Begrenzung der  Bebauungsdichte war von Beginn an wichtiges Thema der BürgerInnen. Je mehr Bewohner, umso mehr entsteht zusätzlicher Autoverkehr auf der Wunstorfer Straße. Wird die Versorgung mit Erholungsflächen im neuen Stadtteil reichen, mit Kinderspielplätzen, wird es einen Stadtbahnanschluss geben? Der Ratsbeschluss mit der Begrenzung der Wasserstadt auf 1600-1800 Wohnungen war aus Sicht der Bürgerinitiative Wasserstadt bereits ein bitterer Kompromiss, hatten sich doch die Bürger nach der Bürgerbeteiligung 2015 für eine Wohnungsanzahl von 1000 – 1200 Wohnungen ausgesprochen.

… immer mehr Wohnungen!

Die neue Größenordnung der heutigen Pläne sind 2600 Wohnungen, das wären bis zu 6500 EinwohnerInnen in der gesamten Wasserstadt. Unmittelbar zur Kommunalwahl 2021 hatten noch alle Parteien den Ratsbeschluss 2015 mit 1600-1800 Wohnungen bekräftigt. Im 1. Bauabschnitt hat man sich mit etwa 550 Wohnungen noch an die mit dem Ratsbeschluss angeordnete Größenordnung gehalten.

Im 2. Bauabschnitt wird das hannovertypische Niveau um 70-115 % überschritten. Die Geschossflächenzahl (GFZ) – die städtebauliche Kennziffer für die Ausnutzung eines privaten Baugrundstückes – liegt hier im Durchschnitt bei 2,6. Einige Baublöcke erreichen sogar Werte bis 3,5. Nach Daten der Stadtverwaltung liegt die durchschnittliche Geschossflächenzahl von vergleichbaren Baugebieten in Hannover zwischen 1,2 (Herzkamp) und  1,5 (Kronsrode, erster Bauabschnitt Wasserstadt)  Bei der Kesselstraße in Limmer (GFZ 1,9) hatte man erst während der Bauphase festgestellt, dass bei der Grundstücksüberbauung übertrieben wurde. Der Plan für den Innenhof wurde kurzfristig zu Gunsten von mehr Freiraum und Grün geändert. Wir sprechen bei den Neubauquartieren von einer Dichte, wie sie seit Jahrzehnten für städtische Quartiere üblich und bewährt ist, und nicht von Einfamilienhausgebieten wie sie an anderer Stelle im Stadtgebiet immer noch geplant werden.

Konkrete und prüffähige Zahlen zum gegenwärtigen Planungsstand des 2. Bauabschnittes sind Mangelware. Der Bezirksrat Linden–Limmer hat im November 2021 mit entsprechendem Beschluss bei der Stadtverwaltung etliche Informationen zum Planungsstand angefordert – weitgehend vergeblich.  Die letzte veröffentlichte Flächenbilanz für die gesamte Wasserstadt ist über ein Jahr alt und geht auf das Gutachterverfahren zum 2. Bauabschnitt aus 2021 zurück. Immerhin weiß man nach den im März 2023 abgehaltenen „Plangesprächen“ – ein aus Sicht der Bürgerinitiative Wasserstadt eher fragwürdiges Format zur „Bürgerbeteiligung“ (fehlende Öffentlichkeit, keine Pressebeteiligung, inhaltliche Defizite, keine Ergebnisoffenheit), dass es sich bei den aktuellen Planungen um mindestens 240.000 m² Geschossfläche in den weiteren  Bauabschnitten handeln soll.

Die Verwaltung hat bei den Plangesprächen signalisiert, dass sie Ihre Planung nicht mehr nennenswert überarbeiten möchte.  Der Rat der Stadt Hannover wird über den aufzustellenden Bebauungsplan des 2. Bauabschnittes befinden. Folgt man der Erzählung des Eigentümers Papenburg und der stadtfremden Investoren aus Hamburg, sei eine wirtschaftliche Baugebietsentwicklung nur mit der angestrebten maximalen Dichte (GFZ 2,6) möglich.  Papenburg hat selbst den Beweis des Gegenteils erbracht, indem er den 1.  Bauabschnitt mit einer Geschossflächenzahl von 1,5 gebaut hat. Auch hannoversche Baugesellschaften kommen wirtschaftlich gut mit der stadttypischen, moderat urbanen Ausnutzung der Grundstücke klar.

Abstandsregelung der Bauordnung wird ignoriert

Eine maßlose Grundstücksausnutzung hat Folgen für die zukünftigen Bewohner: Minderwertige, dunkle, vor fremden Einblicken schlecht geschützte Erdgeschosswohnungen auf Fußwegniveau und enge Straßenschluchten. Im Sommer Hitzefallen, schlecht durchlüftete Innenhöfe mit dürftigem Baumbestand, unterdimensionierte Erholungs- und Spielflächen. Es ist sicher kein Zufall, dass der geförderte Wohnungsbau in den am stärksten verdichteten Blöcken ohne Bezug zum Wasser zu finden ist.  Natürlich wird es sich in den weniger dicht bebauten Blöcken in Richtung der „Limmer Spitze“ besser leben lassen.  Aber können in etlichen  Jahren die dortigen Eigentumswohnungen gegen eine Konkurrenz in anderen Neubauquartieren mit deutlich luftigerer und sonnigerer Bebauung überhaupt vermarktet werden?

Schafft man durch eine hohe Grundstücksausnutzung preiswerten Wohnraum?  Darüber entscheidet der Vermieter. Ökonomen wissen seit Beginn des 20. Jahrhunderts, dass der Wohnungsmarkt nur durch die Stärkung von nicht profitorientierten Akteuren wie z.B. Wohnungsbaugenossenschaften eine dauerhaft wirksame  Preisdämpfung erfährt.  In den derzeitigen Planungen sind  gemeinwohl­orientierte Akteure nicht beteiligt. Und Sozialwohnungen auf begrenzte Zeit sind kein Ersatz für langfristig gemeinwohlorientierte Eigentumsstrukturen mit bezahlbaren Mieten.

Die Zusicherungen der Investoren, in diesen Zeiten der Baukrise umgehend den Bau des 2. Bauabschnittes zu starten, sind Behauptungen ohne jede rechtliche Verpflichtung. Es kann sein, dass die nächsten 5 Jahre gar nichts passiert – man denke nur an die Ankündigung der Vonovia als der größten deutschen Immobiliengesellschaft, bis auf weiteres  keine Neubauprojekte mehr zu beginnen. Wie sinnvoll ist es, einen Bebauungsplan auf die Profitinteressen eines privaten „Konsortiums“ zuzuschneiden?

Wie wird die Wasserstadt zu einem lebenswerten Stadtteil?

  • Mit ein- bis zwei Geschossen weniger hätte man einen robusten Plan, der nicht die Grenzabstandsvorschriften der Nds. Bauordnung (§ 5 NbauO) unterschreitet – was im Moment leider der Fall ist.

  • Gemeinwohlorientierte Baugesellschaften müssen Grundstücke zum Bodenrichtwert kaufen können. Nur so kann eine wirksamer Beitrag zur Lösung der Wohnungsmarktprobleme erbracht werden und eine gute soziale Mischung erzielt werden. Andere Städte, beispielsweise Frankfurt, Münster, München usw. sind hier viel engagierter als Hannover.
  • Ein Stadtbahnanschluss der Wasserstadt wird noch Jahrzehnte dauern. Die Straßenführung im und um den neuen Stadtteil muss daher jetzt für den Bus- und Radverkehr optimiert werden, insbesondere im Bereich der Altgebäude und der geplanten Klappbrücke über den Stichkanal sowie beim Uferweg am Leineabstiegskanal. Die Führung der Buslinie 700 über Wasserstadt und neue Kanalbrücke muss möglich sein.
  • Die Stadtverwaltung muss sämtliche Informationen offenlegen. Dabei ist grundsätzlich die gesamte Wasserstadt ins Auge zu fassen. Nur so ist eine verantwortungs­volle politische Entscheidung möglich.

Die Limmer-Cloud

Aus unseren Überlegungen zur Digitalisierung des BI-Archivs ist eine neue „Limmer Cloud“ geworden und mittlerweile schon kräftig gewachsen. Sie ist über einen Button auf unserer BI-Homepage zu erreichen.
Der finanzielle Anschub wurde vom städtischen Quartiersfonds Bürgerbeteiligung Wasserstadt und der Linden-Limmer-Stiftung getragen. Die laufenden Kosten bestreitet die Bürgerinitiative aus Spenden.
Viele Dateien (Pläne, Gutachten, Fotos usw. ) zu den Themen Wasserstadt, Verkehr,  Freiraumplanung, Limmer allgemein und Bürgerbeteiligung mit zahlreichen Unterordnern sind für die Öffentlichkeit bereitgestellt. Einfach ´mal reinschauen …

Ein Angebot an den ganzen Stadtteil

Wir bieten auch anderen Einrichtungen, Initiativen und Vereinen aus Limmer an, die Cloud zu nutzen und sich hier zu präsentieren. Unser Ziel ist es, für Limmer einen digitalen Marktplatz zu schaffen, der jeder und jedem die Möglichkeit gibt, Interessantes über Limmer zu erfahren. Es ist auch ein Angebot an die demnächst zahlreich Zuziehenden, hier zu stöbern, Anschluss zu finden oder sich an den stadtteilpolitischen Diskussionen gut informiert zu beteiligen. Wir wollen integrieren und die lokale Demokratie stärken.

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Die Bürgerinitiative (BI)

Die Bürgerinitiative Wasserstadt Limmer ist ein Zusammenschluss von Bürgerinnen und Bürgern aus Limmer und den angrenzenden Stadtteilen, sowie Menschen, die gerne auf dem Wasserstadtgelände wohnen wollen.

Wir setzen uns ein für:

  • Für eine umfassende und qualifizierte Bürgerbeteiligung bei Entwicklung und Bebauung des ehemaligen Contigeländes
  • Für ein lebendiges neues Viertel, welches gut in den bestehenden Stadtteil integriert ist. Auch die Bebauungsdichte sollte zu Limmer passen
  • Bezahlbare Wohnungen für eine gute soziale Mischung
  • Ein Verkehrskonzept, dass seinen Namen verdient, zur Entlastung der Wunstorfer Straße vom Kfz-Verkehr
  • Erhalt der denkmalgeschützten Altgebäude mit Nutzungsmischung aus Wohnen, Arbeiten, Begegnungsräumen für Freizeit und Kulturtreff

Die Bürgerinitiative trifft sich in den geraden Kalenderwochen jeden zweiten Dienstag um 19:30 Uhr im Gemeindehaus St. Nikolai, Sackmannstr. 27.


Bürgerinitiative für die Wasserstadt Limmer